Selbstbildnis in Tessiner Landschaft
Hermann Scherer (1893–1927)
Hermann Scherer, Selbstbildnis in Tessiner Landschaft, 1926, Öl auf Leinwand. Museo d'arte della Svizzera italiana, Lugano. Collezione Cantone Ticino

Hermann Scherer macht eine Lehre als Steinmetz in Deutschland und anschliessend in Basel, wo er mit Carl Burckhardt zusammenarbeitet. Dort lernt er auch Albert Müller und Otto Staiger kennen und eröffnet ein eigenes Atelier. 1920 hält er sich auf Einladung Müllers im Tessin auf und beginnt sich mit der Aquarellmalerei zu beschäftigen. Nach seiner Rückkehr nach Basel löst er sich in seinen Skulpturen vom klassizistischen Einfluss. Inspiriert von der Munch-Ausstellung in Zürich von 1922 beschliesst er, sich neben der Bildhauerei auch der Malerei zu widmen. Von entscheidender Bedeutung ist 1923 die Begegnung mit Kirchner in Basel, mit dem er in der Folge eine anregende Freundschaft unterhält, die bis 1925 dauert. Während seiner Aufenthalte beim Meister in Davos Frauenkirch entstehen Holzskulpturen, Gemälde und Holzschnitte. In der Silvesternacht 1924/25 gründet er zusammen mit anderen Basler Künstlern in Müllers Haus in Obino die Gruppe Rot-Blau. Die Künstler arbeiten gerne Seite an Seite und schaffen Werke von grosser Ausdruckskraft. 1925 malt er die grossen Tessiner Landschaften, in denen ab 1926 die Figur hinzukommt.
Selbstbildnis in Tessiner Landschaft, eines der letzten Werke des Künstlers, ist von einer bemerkenswerten Farbengewalt geprägt, wobei die Intensität der Primärfarben im Verhältnis zu den Komplementärfarben zunimmt. Die Landschaft wird mittels einer subjektiven Interpretation wiedergegeben, die durch eine starke formale Verzerrung die abfallenden Hügel in schroffe Abhänge verwandelt und dem Bild eine dramatische Note verleiht. Der Künstler stellt sich selbst als groteske Gestalt dar, die verloren durch die Landschaft irrt. Die nach hinten geneigte Haltung vermittelt ein Gefühl der Unsicherheit, die seine existenzielle Grundbefindlichkeit widerspiegelt. Die Figur erinnert an die groben Volumen seiner Holzskulpturen, die er ab 1924 mit der von Kirchner erlernten Technik der Taille directe schuf.